Leichter verkaufen ohne Druck
Leichter verkaufen ohne Druck - durch fokussierten Vertrieb

Der Vertriebscoaching-Blog "Leichter verkaufen ohne Druck"


18.07.2022

Rechts überholen: Zieht Marketing an Vertrieb vorbei?

Vertrieb (1).pngUnglaublich, wie sich das Marketing in den letzten Jahren verändert hat, aber wo bleibt die Innovationskraft im Vertrieb? Wir benötigen ein komplettes Umdenken und ein neues Handeln im Vertrieb!
 
Überholt das Marketing den Vertrieb?

Es mag manche Vertriebsleute geben, die gerne auf der linken Spur fahren, und das nicht nur auf der Autobahn sondern auch im übertragenen Sinne. Aber haben alle Verkäuferinnen und Verkäufer immer das richtige Ziel vor Augen, und sind sie überhaupt noch mit dem passenden Fahrzeug und auf den richtigen Wegen unterwegs? Rechts überholen ist im Straßenverkehr nicht nur verboten, nein, es ist auch extrem gefährlich! Das gilt auch für Marketing und Vertrieb, zwei Disziplinen, die schon immer eng miteinander verbunden sind. Fahren beide aber derzeit auf denselben Spuren und mit einheitlichem Tempo? Oder kommt es einem nur so vor, dass Marketing den Vertrieb derzeit eher rechts überholt?

Marketing und Vertrieb gehören zusammen

In der Praxis gab und gibt es statt einem harmonischen Nebeneinander und Miteinander jedoch in vielen Unternehmen eher Grabenkämpfe und Differenzen. „Wenn die im Vertrieb mal endlich unsere tollen Marketingkonzepte umsetzen würden!“ versus „Mit einem besseren Marketing hätten wir es im Vertrieb viel leichter!“. Wer kennt das nicht? Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, nämlich dort, wo Marketing und Vertrieb Hand in Hand arbeiten, sich gegenseitig nicht nur schätzen sondern auch eng verzahnt auf die gemeinsamen Ziele hinarbeiten. Längst ist überfällig, dass diese wichtigen Unternehmensbereiche künftig noch enger zusammenwachsen. Warum unterscheidet man sie überhaupt noch und gibt es nicht schon längst eine zentrale Funktion z.B. mit dem übergreifenden Begriff „Kundenmanagement“? Aber Bezeichnungen sind letztendlich nur Schall und Rauch. Selbst wenn man es getrennt belässt bei den sich ja schließlich durchgesetzten Begrifflichkeiten „Marketing“ und „Vertrieb“, dann sei an dieser Stelle die Betrachtungsweise erlaubt, wie sich die beiden Unternehmensfunktionen denn in der Praxis weiterentwickeln. Was sind die Hauptaufgaben im Marketing und im Vertrieb, und wie werden diese aktuell umgesetzt?

Welche Veränderungen gab es in den letzten Jahren?

Warum nehme ich mir überhaupt dieses Thema vor? Zum einen bin ich als sogenannter Vertriebsexperte persönlich davon betroffen, zum anderen sehe ich eine beängstigende Entwicklung in den letzten Jahren was „meine“ Disziplin Vertrieb anbelangt. Dabei habe ich – wie so viele – meine ersten beruflichen Erfahrungen gar nicht im Vertrieb, sondern – man mag es kaum glauben - ausgerechnet im Marketing gemacht. Wenn ich von „damals“ spreche, dann meine ich die Zeiten Mitte der 90er-Jahre. Die Marketingabteilung war der klassische Zulieferer für den Vertrieb und irgendwie auch für alle anderen Bereiche im Unternehmen, aber oft leider eher im Sinne einer Hiwi-Aufgabe. Marketing war für viele die Reklame- und Werbeabteilung, die aber z.B. auch gute Texte für PR und sonstige Anlässe schrieb. Gute Designs entwerfen konnten Marketingleute auch schon immer sehr gut. Aber viel zu häufig war „das Marketing“ für alle im Unternehmen spannend, wenn es um neue Werbegeschenke für Kunden ging. Strategisches Marketing? Oftmals Fehlanzeige! Was Marketing immer schon gut konnte: Hohe Budgets einfordern und danach viel Geld ausgeben. Die wirklich guten Projekte haben sie gar nicht selbst gemacht, dafür hatten sie ja entsprechende Agenturen. Die Agenturleute kamen klassisch mit dem Porsche vorgefahren, während der eigene Außendienst „nur“ mit dem VW-Passat unterwegs war. Verkehrte Welt, oder: So baut man Fronten auf! Ja, ich weiß, ich bediene gerade die klassischen Vorurteile von damals und sicherlich mag mein Bild auch überzeichnet sein. Ich habe zu dieser Zeit meine Marketingaufgaben zwar keineswegs als langweilig oder uninteressant empfunden, aber wir standen immer im Schatten des Vertriebs. In amerikanisch-geprägten Unternehmen gab es am Jahresende immer die tollen Events, und kein Vertriebsmensch ging ohne einen Pokal nach Hause, während wir Marketingleute in der Ecke saßen und neidisch zuschauten.

Da reifte mein Entschluss, in den Vertrieb zu wechseln, und ich habe es bis heute nicht bereut. Ich wollte nicht länger von den großen Deals erzählt bekommen, nein, ich wollte an vorderster Kundenfront mit dabei sein. Das ist ja auch nach wie vor eine der spannendsten und herausfordernden Aufgaben für alle Vertriebsleute, nämlich große Aufträge an Land ziehen und somit entscheidend mit dazu beitragen, die Zukunft des eigenen Unternehmens zu sichern und mitzugestalten. Daher hat der Vertrieb zu früheren Zeiten bei fast allen Chefs eine größere Bedeutung gehabt als das Marketing. Manche Mittelständler hatten gar keine eigene Marketingabteilung. Das hat die Geschäftsführungsassistentin dann oft „so nebenher“ gemacht oder es waren gar klassische Praktikums-Jobs. Für besondere Aufgaben hatte man ja schließlich bei Bedarf immer noch diverse Agenturen an der Hand. Das macht nachdenklich, wie auf diese Weise die doch sehr wichtigen Marketingaufgaben „erledigt“ wurden.
Der Vertrieb war hingegen in der Regel mit einer starken eigenen Außendienst-Mannschaft unterwegs, denn die haben ja schließlich die Aufträge reingeholt. Gestärkt wurde das Ganze durch ein ebenso schlagkräftiges Innendienst-Team, das dem Außendienst den Rücken freigehalten hat. Arbeit im Vertrieb wurde nicht nur deutlich besser bezahlt, nein, sie war auch wesentlich höher angesehen als das, was die Marketingabteilung geleistet hat. Die Schere klaffte eigentlich immer weiter auseinander, bis… ja bis wann eigentlich genau? Hängt es – wie so oft – wieder mit dem Internet zusammen, das für uns alle ja „Neuland“ war? Vermutlich schon, denn der Siegeszug des Online-Marketing ließ auch die Bedeutung des Marketings insgesamt deutlich wachsen.

Marketing hat sich dramatisch verändert – Vertrieb auch?

Meine Güte, wie hat sich die Marketingwelt mittlerweile verändert! Die Vertriebswelt auch? Oder steht der Bereich Sales heute eher wie das berühmte gallische Dorf da? Wenn ich mir zu Beginn der Corona-Pandemie einige Verkaufsabteilungen angeschaut hatte, dann habe ich Zweifel, ob es wirklich auch den Vertrieb mit der Weiterentwicklung positiv erwischt hat, oder ob er eher stehen geblieben ist bzw. sich nur an den innovativen Marketing-Strom dranhängt und so tut, als sei das auch Vertrieb. Da gab es im Jahr 2020 tatsächlich viele Menschen im Verkauf, die noch nie vorher an einer Videokonferenz teilgenommen haben. Zugegeben: Digitalisierung im Vertrieb ist nicht das Beherrschen der Webmeeting-Tools, es geht um weit mehr. Aber wenn es dabei schon Hürden gibt… und das nachdem sich Videomeetings schon vor ca. 10 Jahren weltweit längst etabliert hatten und auch die Technik seitdem auf einem guten Stand ist.
Auf der anderen Seite entwickelt sich Online-Marketing in einer dermaßen rasanten Geschwindigkeit weiter, dass man – wenn man nicht tief in der jeweiligen Unterdisziplin drinsteckt – relativ schnell den Anschluss verliert. Wie so häufig ist alles Neue dabei nicht immer gut, vieles sind einfach nur Trends, die wieder abflachen. Aber wo gibt es die Innovationen im Vertrieb?
Da werden immer noch altbackene Strategien und Konzepte ausgepackt und so getan, als hätte sich nichts verändert. Klassische Kaltakquise nach dem Gießkannenprinzip wird nicht nur immer noch fleißig praktiziert, nein, sogar in angeblich modernen Vertriebstrainings weiterhin gelehrt. Dabei fehlen nur noch die Gelben Seiten als Datenlieferant. Mehr dazu habe ich übrigens in meinem Buch “Kaltakquise - aber richtig!” veröffentlicht:

Buch “Kaltakquise - aber richtig!”

Verkaufsgespräche laufen vielfach immer noch so ab, dass der Kunde kaum zu Wort kommt, denn schließlich müssen die 50 Powerpoint-Folien ja in der knappen Zeit durchgejagt werden, sonst fehlen dem Kunden womöglich wichtige Informationen. Und natürlich achtet man weiterhin darauf, dass zu Beginn jeder Vertriebspräsentation erst einmal ausführlich das eigene Unternehmen mit allen Zahlen und Daten vorgestellt wird, als wenn diese internen Fakten das Problem des Kunden lösen würden. Darüber hinaus stelle ich fest, dass es zwar schon gefühlt seit Steinzeiten CRM-Systeme gibt, diese aber noch immer nicht überall eingesetzt werden. Da, wo Customer Relationship Management zwar als IT-Programm vorhanden ist, wird es noch längst nicht immer als Konzept verstanden und entsprechend umgesetzt. Man freut sich ja schon darüber, wenn einige Leute (manchmal sogar Führungskräfte) tatsächlich Eintragungen im System vornehmen. Aber werden diese Daten überhaupt genutzt, und wenn ja, wie? Ach, ich könnte jetzt stundenlang so weitermachen und mich über viele Unzulänglichkeiten im Vertrieb aufregen. Auf der anderen Seite ist klar, dass nicht immer alles rund laufen kann bei den oft komplexen Vertriebsprozessen. Aber was mich so erschreckt ist die Tatsache, dass dem Vertrieb anscheinend die Innovationskraft abhandengekommen ist. Immer noch geistern alte amerikanische Sales-Methoden der 80er Jahre als der Weisheit letzter Schluss in den Köpfen einiger Vertriebsleiter und Vertriebsleiterinnen herum.

Warum hat Marketing in punkto Innovationen und moderne Methoden derzeit eindeutig die Nase vorne? Ist Vertrieb nicht mehr attraktiv für jüngere Menschen? Aber das war er doch noch nie! Früher konnte man Sales-Management überhaupt nicht studieren, heute gibt es einige gute Studiengänge dazu. Daran kann es doch eigentlich nicht liegen.

Wo hört Marketing auf, wo fängt Vertrieb an?

Wir Vertriebler haben es bisher wohl nicht geschafft, UNSER Thema zukunftsweisend in die 20-Jahre des 21. Jahrhunderts zu transferieren. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin da ganz zuversichtlich, wenn wir uns einfach mal den Vertriebsprozess anschauen: Fast alle gehypten Marketing-Ideen fokussieren auf die erste Phase des Wegs zum Auftrag. Da ist in erster Linie von modernen Leadgenerierungs-Maschinen die Rede. „Wo hört Marketing auf, wo fängt Vertrieb an?“ Das war schon immer eine spannende Frage, und die Grenzen verschwimmen mittlerweile immer mehr. Natürlich kann man online einen rein digitalen Verkaufsprozess bis zum Kauf gestalten, aber gilt das auch für den Verkauf eines Windparks oder eines IT-Outsourcings mit einem Volumen von 20 Mio. EUR?
Die Aufgaben des Marketings waren schon immer, den Markt zu bearbeiten, die entsprechende Ansprache und passende Kommunikation zu finden und idealerweise interessante Leads zu generieren. Viele der modernen Online-Tools helfen da sicherlich weiter, allerdings sind einige auch kontraproduktiv. Da muss man schon genauer hinschauen was die eigenen Produkte und Zielgruppen anbelangt. Und dann kommt irgendwann der Punkt, wo der Vertrieb übernimmt, und das gestaltet sich leider in vielen Unternehmen wie bei einem klassischen Medienbruch: Sobald die Vertriebsmannschaft übernimmt, wird häufig von digital auf analog umgeschaltet. Die Lösung wäre vielmehr eine Durchgängigkeit im Vertriebsprozess, die durch eine persönliche digitale Kundenkommunikation seitens des Vertriebs eine sehr individuelle Note erhält. Ist nicht „hybrid“ das Zauberwort des Jahres? Auf unser Thema übertragen heißt das: Ideale Prozesse beinhalten vermutlich sowohl digitale als auch analoge Schritte.

Vertrieb muss also einfach das erfolgreich fortsetzen, was Marketing sehr häufig bereits exzellent vorbereitet hat. Natürlich gehören dazu auch bewährte Vertriebstugenden und -methoden weiterhin dazu. Wer es im Vertrieb aber nicht verstanden hat, den Kunden auch mit modernen digitalen Möglichkeiten zu erreichen, der wird künftig noch weiter abgehängt werden. Es gibt so viele smarte Tools (z.B. zur Terminvereinbarung), die das Leben für alle einfach nur erleichtern. Wer die künftig nicht nutzt, wird zurecht als altbacken und konservativ abgestempelt. Es geht aber nicht nur um Tools, um digitale Systeme, nein: Wer verstanden hat, wie man die mittlerweile extrem breite Klaviatur des Marketings und Vertriebs richtig spielt, wird wirklich erfolgreich sein. „Alles nur noch online!“ wird genauso wenig erfolgreich sein wie „Wir machen weiter so wie früher!“. Und natürlich muss man sich die Frage stellen, ob es den klassischen Vertriebsaußendienst in Zukunft überhaupt noch geben wird. Eines steht jedenfalls jetzt schon fest: Wir werden künftig viel weniger Reise- und damit auch Lebenszeit im Auto verbringen als früher, und das ist auch gut so. Denn alleine diese Veränderung kann eines der Kernprobleme im Vertrieb lösen, nämlich dass zu wenig verkaufsaktive Zeit vorhanden ist.

Vertrieb als Teilbereich der Absatzwirtschaft?

Um das Thema abschließend zu bearbeiten, bleibt schließlich noch eine Frage, deren Antwort möglicherweise zur Lösung aller Probleme führt. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Marketing und Vertrieb? Mir ist klar: Diese Frage ist natürlich ein echter Brocken, hier scheiden sich schon immer die Geister. Vielleicht schauen wir zur Beantwortung einfach mal in eine klassische Betrachtung, nämlich den Marketing-Mix: Da wird Vertrieb schon immer als Teilbereich des Marketings definiert. Auweia, ist damit nicht schon längst bestätigt, was sich gerade zeigt: Wir Vertriebsleute haben uns die letzten Jahre womöglich einfach nur aufgeplustert und wichtiger gemacht, als wir es tatsächlich sind. Vielleicht tun wir uns künftig aber leichter, wenn wir uns als Teil des Marketing-Gesamtkonzepts sehen und dabei in unserem sehr wichtigen Part einen zukunftsorientierten Job machen, bei dem wir ständig nach Veränderungs- und damit Verbesserungsmöglichkeiten Ausschau halten. Früher hieß Marketing in der deutschen Sprache noch „Absatzwirtschaft“. Auch wenn ich das Ganze wie gesagt nicht an Begrifflichkeiten festmachen möchte: Vielleicht hilft es allen im Marketing und Vertrieb, wenn sie sich als wichtige Bereiche der Absatzwirtschaft betrachten.

Wir Vertriebsleute müssen nämlich aufpassen, dass wir nicht aufs Abstellgleis geraten und dass wir im Schatten des großen Online-Marketings nicht zu Marionetten verkommen, die man irgendwann in der rein digitalen Welt gar nicht mehr braucht. Dabei wird doch immer wieder betont, wie wichtig es ist, Persönlichkeit und Emotionen in den Verkauf einzubringen. Ja klar, DAS werden die künftigen Alleinstellungsmerkmale sein, wenn alles andere gläsern und digital gestaltet wird und somit womöglich auch steril und als Einheitsbrei rüberkommt. Diese individuelle Note in den Verkaufsprozess hineinzubringen bedeutet auch, mal neue Dinge auszuprobieren und vor allem genau zu beobachten, wie Kunden sich verhalten.

Hintereinander statt rechts überholen!

Ich habe so den Eindruck, dass der Vertrieb in den letzten Jahrzehnten sehr häufig links auf der Überholspur fuhr, meist mit viel PS unter der Haube. Das Marketing hat aber aufgeholt und idealerweise sollten beide gleichberechtigt und in gleichem Tempo hintereinanderfahren: Erst das Marketing, und im Windschatten dann der Vertrieb! Oder vielleicht sitzen wir bald alle gemeinsam in einem Auto, das wäre noch besser. Rechts überholen vom Marketing ist nämlich nicht gut. Daher: Vertriebsleute, gebt Gas! Und bleibt auf gleicher Geschwindigkeit mit dem Marketing! Außerdem: Falls Ihr doch mal zwischendurch überholen wollt, benötigt Ihr künftig gar kein Auto mehr, dem früheren Statussymbol des Vertriebs. Digital geht künftig vieles nun mal einfacher und schneller als analog. Das tut zudem auch unserer Umwelt gut.

Oliver - 23:08 @ Vertriebsstrategie

 
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